Übersorge

oder: Macht Euch mal locker…

Warum müssen sechs Monate alte Babies zum Physiotherapeuten, warum sollen Kleinkinder in fest gelegten Zeiträumen singen und klatschen und musikalisch „früh erzogen“ werden? Und warum brauchen wir Schlafberaterinnen für Babies, Beikostkurse für Erstlingseltern und andere „Betriebsanleitungen“?

Dass es diese Angebote gibt, ist per se nicht schlecht, das würde ich gar nicht sagen –

Aber ist es nicht so, dass uns Eltern zu Beginn (sprich wenn Kind Nr. 1 unterwegs ist) einfach grundsätzlich ans Herz gelegt wird, diesen Kurs und jenes Seminar zu besuchen? Warum eigentlich genau?

Vielleicht, weil „man das so macht“ (ohne zu hinterfragen), vielleicht, weil man (= Eltern… wobei, v.a. Mütter, um ehrlich zu sein) nicht ganz sicher ist, ob man ohne Kurs so klarkommt, vielleicht, weil man sich sonst allein gelassen fühlt, so ganz ohne das überlieferte Wissen in der Großfamilie, ohne kinderreichen Freundeskreis, was weiß ich.

Meine These ist: Wir sind verunsichert, WEIL es dieses riesige Kursangebot gibt. Damit will ich nicht sagen, dass es prinzipiell Geschäftemacherei ist, einen Beikostkurs o.ä. anzubieten – wer eigentlich die wirkliche Zielgruppe ist / sein könnte, dazu später – aber mal im Ernst: Haben wir unseren gesunden Menschenverstand eigentlich begraben? Das Selbstvertrauen komplett verloren? Ich meine – von wem lernen wir in unserer Jugend denn z.B. kochen? Vermutlich in den meisten Fällen von unseren Eltern. Und vielleicht aus Rezepten.

Wieso können wir das Zubereiten von Babynahrung nicht auch so lernen? Es sei ja Jedem selbst überlassen und ich will niemanden verurteilen, weil er/sie einen Babykurs besucht. Ich habe nur mal die Überlegung angestellt, welche Kurse wirklich nötig waren und welche wir uns hätten sparen können. Nicht, weil sie womöglich schlecht waren, sondern, weil mir mehr und mehr klar geworden ist, dass ich mir die paar Informationen, die ich vor dem Kurs noch nicht hatte, sehr leicht auch selbst hätte aneignen können (Denken/Freunde fragen/Internet…)

Gut – das lässt sich im Nachhinein immer leicht sagen. Dennoch glaube ich, sollten wir uns nicht so irre machen lassen, nur weil die es diese ganzen Angebote gibt. Hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass wir als gebildete Städter eben a) generell die Möglichkeiten haben und b) vor uns selbst einen gewissen Anspruch haben, alles richtig und gut machen zu wollen. Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf (sic!) – wo es eben nicht so viele dieser Angebote gibt. Ein paar wenige meiner Bekannten, die eben nicht gerade in einer Großstadt Kinder aufziehen, kommen irgendwie auch ohne den ganzen Kurs-Kram klar – und machen sich offenbar auch gar nicht so große Gedanken darum, dass es anders sein sollte.

Meine Meinung: Ein bisschen mehr SELBSTvertrauen für die ein oder andere in diesem ganzen großen Kinder-Thema wäre vielleicht ausreichend. Dafür müsste vielleicht auch die Gegenwart von Kindern generell in der Gesellschaft (wieder) ein bisschen selbstverständlicher werden… aber das ist ein anderes Thema.

Hier mal meine eigene Liste, um eine Bilanz zu ziehen – chronologisch… Es fängt ja schon lange vor der Geburt an:

Schwangerschaftsyoga (wöchentlich, 10 x hintereinander)

Ja, war nett. Ich bin generell glaube ich nicht so der Yoga-Typ bzw. kann ich damit auch nicht auf Knopfdruck entspannen. Die Bewegung tat der Kugel auf jeden Fall gut – meistens – aber Schlaf oder einfach Ruhe wäre vermutlich nach einem langen Arbeitstag genauso wirksam gewesen. Nun habe ich glücklicherweise bewegungstechnisch auch grundsätzlich keine Probleme und habe bis zur 30. Woche regelmäßig auf dem Pferd gesessen – andere Menschen können da vielleicht etwas mehr mit Yoga anfangen. Moderates „in Bewegung bleiben“ ist jedenfalls prinzipiell richtig, denke ich.

Geburtsvorbereitungskurs (Wochenend- „CrashKurs“)

Ja, war sehr gut, auch hilfreich – keine Frage. Das war aber so ziemlich der einzige Kurs, der sich voll gelohnt hat.

Rückbildungskurs (wöchentlich, 6 x in den ersten 3 Lebensmonaten)

Zu früh, zu unruhig (weil jedes Mal mit Kind). Rückbildungsgymnastik /-sport ist auf jeden Fall richtig und wichtig, bei der Kursauswahl hätte ich allerdings jetzt anders gehandelt (ohne Kind, intensiver, länger).

Babymassage (wöchentlich, 5 x in den ersten 3 Lebensmonaten)

Für uns völlig nutzlos. Die Massage war meiner Tochter ziemlich egal, wenn sie nicht gerade geschrien hat – was wiederum mich ziemlich Nerven gekostet hat. Spätestens an dem Punkt, an dem sie sich einfach weg gedreht und ihr eigenes Programm gemacht hat, war die Teilnahme eigentlich hinfällig.

Osteopathie

– das nehme ich jetzt mal so in die Liste, weil es ein Punkt war, den „man so macht“ als besorgte Erstlingseltern und für den es eigentlich keinen triftigen Grund gab… –

Einen Termin bei der Osteopathin haben wir nach ca 3 Monaten wahrgenommen. Warum? Keine Ahnung.
Krabbelgruppe A (nach Emmi Pikler) (wöchentlich, 10 x hintereinander)

Also – hier geht meine Kritik los…

Völlig übertrieben. Eingestiegen bin ich auf einen Tipp hin „…das ist total nett“. Ja, in Ordnung – ein bisschen Austausch ist wichtig, gerade am Anfang und wenn man Newbie ist. Aber bitte nicht so ideologisch (Bewegungsfreiheit, nackte Kinder – gerne. Aber kopierte Auszüge aus einem Lehrbuch zu Emmi Piklers Lehre und das als Hausaufgaben… das brauche ich doch nicht wirklich, oder? Ich mach‘ doch hier kein Studium).

Und: Bitte nicht als Verkaufsveranstaltung (wie hieß nochmal dieser Gummi-Löffel, den man uuuunbedingt braucht? Ich konnt’s gar nicht glauben, dass mindestens die Hälfte der Mutties in der Gruppe ihn für € 2,50/Stück (!) erstanden haben…). Achja, es wurden auch noch Flyer verteilt. Unter anderem solche von einem Start-up, das sich damit rühmte, Selbstgekochtes für Babies nach Hause zu liefern. Also quasi die Gemüsekiste, nur eben schon fertig gekocht. Etwas absurd.

Ach, und wenn mein Kind auf dem Bauch liegt und versucht, den Kopf zu heben (was am Anfang ja wahnsinnig anstrengend ist), soll ich ihm die angewinkelten Ärmchen bitte so stützend vor dem Oberkörper positionieren, dass es direkt in korrekter Art und Weise „lernt“, wie es sich aufstützen soll. Wie bitte??? Ich kann doch meinem zwei Monate alten Kind nicht erklären, wie es sich bitteschön angewöhnen soll, die Arme als Stütze zu gebrauchen. Entweder es macht’s oder es macht’s nicht. Oder später. Oder anders.

Meine Entscheidung, den Kurs nicht weiter zu besuchen, fiel ungefähr in der Sitzung, als ich erwähnte, dass wir nicht mit selbst gekochtem Karottenbrei angefangen hatten, sondern ich mit – gekauften – Gläschen begonnen hatte, weil ich keine Lust hatte, mein selbst gekochtes Essen erstmal in großen Mengen wegschmeißen zu müssen. Aber: Gekaufte Gläschen. Sind. Böse.

Außerdem hatte ich das Kind mal auf einer Feier mit abgelutschten, zerkleinerten (= vorgekauten) Kichererbsen gefüttert, die es sehr gut fand. Auch das hab‘ ich in diesem Kurs mal erwähnt. Aber das passte irgendwie nicht in das Konzept „Wir fangen mit 4 Wochen Karottenbrei an. Dann versuchen wir es 4 Wochen mit Kartoffel und danach kommt dann ggf. anderes Gemüse“. Hä??

Krabbelgruppe B (zufällig auch nach Emmi Pikler) (wöchentlich, ca. 6 Monate lang)

Hier war alles viel entspannter. Es gab kein festes „Themenprogramm“ oder Kapitel oder Lehrabschnitte oder was weiß ich. Zufälligerweise haben wir auch weniger als die Hälfte bezahlt für den Kurs als für Krabbelgruppe A. Und wichtig war mir der Kurs deshalb, weil man sich einfach über die aktuellen alltäglichen Schwierigkeiten ausheulen/auskotzen konnte und immer Leidensgenossinnen gefunden hat. Oder weil man den anderen dann auch den ein oder anderen Tipp geben konnte und durfte. Und die Kursleiterin sich sinnvoll eingebracht hat, aber eben auf Augenhöhe. Im Vordergrund stand also: Austausch, Verbündete finden.

Beikostseminar (1 Abend, ca. im 5. Lebensmonat)

Dieses Seminar wollten wir besuchen – mit Kind – und sind kurzfristig wegen Schreierei und Stau nie dort angekommen. Gut so. Es wäre hinaus geworfenes Geld gewesen, denke ich im Nachhinein. Das Kind hatte ohnehin schon angefangen, von unserem Teller zu verlangen, was interessant aussah. Und das, was komplett verboten sein sollte, hatte ich auch schon aufgeschnappt (Spinat wegen Nitratgehalt o.ä.)

…was wir (bewusst) nicht gemacht haben:

Babyschwimmen – ja, gerne soll unser Kind in Sachen Wasser auch mehr als die Badewanne, den Springbrunnen im Park und das Plantschbecken kennen lernen. Aber soll ich mir dafür einen stressigen Vormittag (ohne die Unterstützung vom Mann) antun, an dem ich Essens-/Schlafenszeiten des Kinds darauf abstimmen muss, uns beide in Windeseile umziehen muss (es darf ja nicht zu kalt werden) und in vermutlich ungewöhnlich lauter Schwimmbadatmosphäre mein Kind konzentriert im Wasser halten soll? Habe ich irgendwie nicht eingesehen… Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem unsere Tochter auch Schwimmbäder kennen lernt. Das muss nicht unbedingt im ersten Lebensjahr sein, glaube ich.

Musikgarten/Singkreis

Da hätte ich sogar fast noch Lust drauf gehabt… Ist dann aber an meiner Belastungsgrenze gescheitert, da das Thema im Bekanntenkreis aufkam, als ich gerade wieder schwanger war und damit extrem müde. Dann hatten wir mit Krabbelgruppe und sonstigen Kindertreffen irgendwie schon genug Bespaßung und ich dachte mir: Ach nee… muss ja jetzt auch nicht sein und kostet ja auch wieder extra. Letztendlich bin ich sehr froh, das wir das gar nicht erst in Angriff genommen haben, da ich von einigen hörte, wie überflüssig der Kurs für Kinder im Alter von ca. einem Jahr war: Mütter sitzen im Kreis, klatschen und singen, die Kinder flitzen im Raum herum und erkunden die Gegend… interessieren sich für alles – nur eben nicht für die Musik.

Ja, ich lösche Facebook-Freunde

[Oh Gottogott, und jetzt die Hemmung vor dem ersten RICHTIGEN Beitrag. Ich habe Schiss. Dass es jemand in den falschen Hals kriegt. Aber ich will, dass es nicht nur im Verborgenen bleibt. Denn das muss mal gesagt werden…]

Ja, ich lösche Facebook-Freunde

Ob Ihr es glaubt oder nicht: Es ist ein befreiendes Gefühl.

Ich habe diese Neurose, gerne leere Packungen wegzuschmeißen. Wenn die Haarspray-Flasche nur noch schwächelnd „Pffffff…“ macht, aber nix mehr rauskommt – ab in die Tonne. Wenn eine Schinkenpackung leer ist: Sehr gut, kann nichts mehr schlecht werden. Packung in den Müll. Ein bisschen schäme ich mich manchmal dafür, weil ich so umso bewusster Müll produziere (und ich tu‘ es auch noch gerne!). „Wegwerfgesellschaft“ schießt es mir durch den Kopf. Und ich bin ein Teil davon. Immerhin ist es ein halbwegs besseres Gefühl, ausgediente Kleidung noch in den Altkleidercontainer schmeißen zu können – ich will auch lieber nicht wissen, was genau dann damit passiert. Aber es ist eben nicht gleich „für die Tonne“. (Eine liebe Bekannte sagte letztens zu mir, sie kaufe bei manchen Dingen sogar lieber kleinere Packungen, damit sie sie auch wirklich leer machen und anschließend genussvoll wegschmeißen kann. Soweit ist es bei mir nicht. Aber ich wusste plötzlich, dass ich nicht alleine bin…)

Ebenso muss ich regelmäßig zuhause ausmisten. Das ist kein wirklicher Zwang – und mit Vollzeitjob, Vollzeithobby, Vollzeitfreund und so weiter ist das in den letzten Jahren sehr selten geworden. Aber ab und zu, wenn der frühmorgendliche Blick noch wach werdend durch das Zimmer träumt (ja, das Schlafzimmer ist tatsächlich das unaufgeräumteste), sticht mich an manchen Stellen der Gedanke: „Boooah, den Scheiß können wir aber nun wirklich mal verschenken/verkaufen/wegschmeißen“ und: „Oh mann, diese Kram-Ecke soll mal frei werden“. Genau. FREI. Das ist das Gefühl, das sich einstellt, wenn der Kram dann endlich weg ist. Möglichst wenig Zeug besitzen ist sowieso immer das allerbeste. Ich kann gut aufräumen und ich kann gut wegschmeißen. Mich gut von Dingen trennen, die nicht mehr zu meinem Leben gehören. Zeitweise geht dabei natürlich auch ein wenig an Werten bei über den Jordan – das schmerzt mich dann auch wieder, weil ich eigentlich dauerpleite bin und gerne für das ein oder andere „gut in Schuss“-Teil noch etwas in return gekriegt hätte. Aber ganz ehrlich: Dieser kleine Schmerz ist nichts gegen das Gefühl des Sich-von-etwas-frei-machen. Also weg damit.

Naja – und Daten gehören eben auch dazu. Ganz ehrlich: Menschen, mit denen ich bei Facebook „verbunden“ bin, sind ja deshalb noch lange nicht meine Freunde. Viele sind doch nach langer Zeit nicht mehr als Daten. Natürlich kann es sein, dass ich sie irgendwann nochmal kontaktieren möchte und natürlich kann es sein, dass sie das mit der Freundschaft anders sehen. Aber mal im Ernst: Warum sollte ich künstlich eine so genannte Freundschaft bestehen lassen mit Menschen, die ich vor fünf Jahren im (sowieso nur halbherzig gelebten) Auslandssemester kennen gelernt habe, und welche spätestens ein Jahr danach wieder aus meinem Alltag verschwunden sind? Möglicherweise klingt das für den ein oder anderen jetzt hartherzig oder radikal oder was auch immer. Kann sein, dass ich das etwas radikal sehe, ja, meinetwegen. Und natürlich hoffe ich jetzt, im Hinterkopf, dass sich gerade, beim Lesen, niemand hier auf den Schlips getreten fühlt, weil er/sie entdeckt, dass ich ihn/sie „entfreundet“ habe. Aber wie gesagt: Ich halte das für künstlich. Menschen in einer Kartei zu haben, die man eigentlich überhaupt nicht mehr kennt. Wofür brauche ich dann die Kartei? Facebook ist eh nicht zu besonders viel zu gebrauchen, aber ich finde es in Ordnung, mit Freunden und Bekannten darüber verbunden zu sein, wenn ich regelmäßig mit ihnen interagiere oder sie mir aus irgendeinem anderen Grund wichtig sind. Denn während ich eben bestimmte Menschen nach einem Jahr wieder aus der Kartei gestrichen habe, gibt es andere Menschen, mit denen ich aber auch nicht (mehr) regelmäßig zu tun habe, die ich aber schon ewig und drei Tage kenne. Mit denen ich wertvolle Zeiten meiner Kindheit und Jugend verbracht habe. Das verbindet eben doch.

Das könnt Ihr jetzt gut finden, oder auch nicht. Ich distanziere mich eben nur sehr von dem Prinzip, Facebook-Freunde zu „sammeln“. Das finde ich unnatürlich. Und wenn man sich irgendwann aus Gründen unbedingt wiederfinden muss – dann, glaube ich, kriegt man das auch irgendwie hin. Oder man läuft sich eben wieder über den Weg. Denn bekanntlich trifft man sich ja immer zweimal im Leben. Im Leben, sage ich – nicht auf Facebook.

Achja, nicht dass es jemand falsch versteht: Ich möchte nicht sagen, dass das Leere-Packungen-Wegschmeißen gleichzusetzen ist mit Freunde-loswerden. Um Gottes Willen! Aber Facebook – echt mal – das ist ja wohl nur eine Datenbank und der „Freunde“-Begriff ist hier ja mal was komplett anderes als im echten Leben. Das wisst Ihr ja alle, oder?